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Wohin bewegt sich die republikanische Partei? Die Strömung der National Conservatives (NatCons) spielt dabei eine entscheidende Rolle. Jonathan Baron stellt die Bewegung und ihre wichtigsten Protagonisten vor.
Einleitung
Die Beziehung zwischen US-Unternehmen und der Republikanischen Partei, der „Grand Old Party“ (GOP), durchläuft derzeit den größten Wandel seit Jahrzehnten. Die neuen Protagonisten der rechten Mitte, die Nationalkonservativen oder „NatCons“, grenzen sich strategisch von großen Konzernen ab und orientieren sich an den Wählern aus der Arbeiterschicht. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, gehört die traditionelle Agenda der Republikaner – Freihandel, niedrige Unternehmenssteuern, Preiswettbewerb und Zurückhaltung im Kartellrecht – bald der Vergangenheit an. An ihre Stelle sollen die Stärkung der inländischen Produktion, Lohnsteigerungen der unteren Einkommen und neue Beschränkungen von Mergers & Acquisitions rücken.
Die NatCons stellen sich nicht nur gegen die größten amerikanischen Unternehmen, sondern sie machen diese auch für viele Probleme des Landes verantwortlich. In einer Grundsatzerklärung vom Juni 2022, die von mehr als 70 führenden NatCons unterzeichnet wurde, heißt es: „Transnationale Unternehmen, die wenig Loyalität gegenüber irgendeiner Nation zeigen, schädigen das öffentliche Leben, indem sie politische Äußerungen zensieren, das Land mit gefährlichen und suchterzeugenden Substanzen und Pornografie überschwemmen und zwanghaftes, zerstörerisches Verhalten fördern.“
Was ist Nationalkonservatismus?
Im Nationalkonservatismus vereinen sich zwei Impulse, die die amerikanische Rechte in den letzten Jahrzehnten geprägt haben: ein starkes Bekenntnis zu den kulturell unterschiedlichen Nationalstaaten als unverzichtbare Organisationseinheiten des internationalen Systems und die Missachtung von Experten, die den Durchschnittsbürgern fremde Werte und Gewohnheiten aufzwingen wollen. In seinem Buch The Right aus dem Jahr 2022, das die Geschichte des amerikanischen Konservatismus nachzeichnet, beschreibt der Journalist und Historiker Matthew Continetti prägnant die politischen Konsequenzen der Ära Trump. Diese markiere eine Renaissance des „nationalen Populismus“, der jahrzehntelang von der libertären Konkurrenz in Schach gehalten wurde: „[NatCons] waren der Überzeugung, dass nationale Souveränität und Unabhängigkeit wichtiger seien als globale Kapital-, Arbeits- und Warenströme.“
Der Aufstieg der Natcons wurde ausgelöst durch den Irak-Krieg, die globale Finanzkrise und die gescheiterten Versprechen der Handelsbeziehungen mit China. Aber ihr ideologischer Hintergrund reicht bis zu James Burnham zurück, der in seinem Buch The Managerial Revolution (1941) die Tendenz des bürokratischen Staates zu politischer und soziologischer Geschlossenheit auf Kosten der Öffentlichkeit vorhersagte. Burnhams Einsicht, dass die Arroganz des elitären bürokratischen Staates zu einer verminderten Legitimität bei der Bevölkerung führen würde, gilt heute -so argumentieren die NatCons – auch für amerikanische Unternehmen. Der vermeintliche Schulterschluss zwischen den Führungsetagen und den Vertretern der „Woke“-Ideologie hat das Großkapital von einem Verbündeten der Konservativen zu ihrem Gegner gemacht. Dieser müsse ebenso bekämpft werden wie der liberal-bürokratische Staatsapparat.
Weil US-Unternehmen den NatCons inzwischen als Agenten der „woken“ Linken gelten, werden sie neuerdings mit ungewohnter Härte attackiert. Rachel Bovard, Mitveranstalterin des Podcasts NatCon Talk, die als Senior Director of Policy beim Anti-Establishment Conservative Partnership Institute tätig ist, feuerte kürzlich eine rhetorische Salve ab: „Die Woke-Ideologien, die Universitäten, an denen, die diese gelehrt werden, und die kulturellen und unternehmerischen Eliten, die sie durchsetzen, sind grundlegend anti-amerikanisch, totalitär und absolut überzeugt davon, dass sie abweichende Meinungen bestrafen und Einhegung ihrer eigenen Macht vernichten dürfen.“
Die NatCons wollen – anders als die Verfechter der freien Marktwirtschaft innerhalb der Rechten – die Macht der Regierung nutzen, um ein amerikanisches „Gemeinwohl“ zu fördern, welches „die Interessen der Arbeitnehmer, ihrer Familien und Gemeinden sowie der Nation“ umfasst.
Wer sind die NatCons?
Yoram Hazony: Der Philosoph
Der 1964 in Israel geborene Hazony studierte in Princeton und Rutgers und promovierte in politischer Theorie. Hazony, der dem orthodoxen Judentum angehört, ist Vorsitzender der Edmund-Burke-Stiftung, die sich zum Flaggschiff der NatCon-Bewegung weltweit entwickelt hat. 2018 verfasste Hazony das Buch The Virtue of Nationalism, das eine historische und ideologische Grundlage der Bewegung bietet. Vor allem lehnt Hazony die Kernprämisse des zeitgenössischen Konservatismus ab, dass die Rechte des Einzelnen und nicht die kulturellen Vorrechte eines Volkes das Wesen einer nationalen Weltanschauung ausmachen. Hazony fasst dies in seinem 2022 erschienenen Buch Conservatism: A Rediscovery: „Angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse von permanenter Revolution und kultureller Zerstörung, gilt es vor allem daran zu erinnern, dass individuelle Freiheiten an und für sich keine Macht haben, irgendetwas stabil oder dauerhaft zu machen“.
Julius Krein: Der Politikverrückte
Krein, der zunächst Karriere im Finanzwesen machte, übt als Herausgeber der Quartalsschrift American Affairs großen Einfluss auf die Bewegung aus. Er hat die politische Neuausrichtung der GOP vorangetrieben, die zur Präsidentschaft Trumps führte. Krein kritisiert den etablierten Konservatismus, weil dieser die Regierungsmacht als wesentliches Instrument des Wandels ablehne: „Der (…) Anti-Etatismus hat besonders viel Schaden angerichtet. Es ist nicht nur so, dass viele der drängendsten Probleme mehr staatliche Intervention erfordern, sondern zudem geht die freie Marktwirtschaft mit diametralem Gegensatz zur zentralen Planung an der heutigen wirtschaftlichen Wirklichkeit vorbei.“ Am Schärfsten kritisiert Krein die selbstverschuldete Lähmung der konservativen Bewegung: „Es scheint, dass der konservative Korpus zu nichts anderem mehr fähig ist als zu reflexartigen Zuckungen.“ American Affairs fungiert inzwischen als Praxis-Handbuch für die NatCons und ihre Verbündeten in Washington und den Hauptstädten der Bundesstaaten. In den jüngsten Ausgaben finden sich Vorschläge zu einer detaillierten Verlagerung der amerikanischen Produktion, zur Erneuerung der heimischen Kernenergieproduktion und zur Stärkung wichtiger Lieferketten.
U.S. Senator J.D. Vance: Der gewählte Repräsentant
Der in Middletown, Ohio, geborene und aufgewachsene Vance wurde mit seinem 2016 erschienenen Bestseller Hillbilly Elegy, in dem er den wirtschaftlichen und sozialen Niedergang der ländlichen Arbeiterklasse schildert, bekannt. Als ehemaliger Marinesoldat, Yale Jurist und Venture Capitalist bei der von Peter Thiel finanzierten Mithril Capital vertritt Vance die Ansicht, dass seine Heimatstadt und zahllose andere Städte Opfer eines politischen Verrats geworden sind. In einem neueren Interview hält er fest: „Was die progressiven Sozialdemokraten in den letzten Jahrzehnten erreicht haben, ist, dass unser Land keine wirkliche Gemeinsamkeit mehr hat“.
Vor und während seines Senatswahlkampfs von Ohio im Jahr 2022 griff Vance auch das konservative Establishment an: „Wenn die Leute den Ausdruck ‚amerikanischer Traum‘ hören, werden ihre Augen irgendwie glasig. Weil so viele etablierte republikanische Politiker ihnen beigebracht haben, dass der amerikanische Traum der Traum von Mitt Romney ist.“ Von allen GOP-Kandidaten bei den Zwischenwahlen war das Wahlprogramm von Vance wohl das reinste NatCon-Programm. Es verband eine nationalistische Vision der Erneuerung Amerikas mit dem unbedingten Willen, die Macht des Staates einzusetzen. Vances Werdegang aus einer benachteiligten, durch Drogenabhängigkeit destabilisierten Familie im Mittleren Westen, über den Militärdienst bis zur Rechts- und Investmentelite prädestiniert als führende nationale Stimme der NatCon-Agenda.
Politische Implikationen
Der wachsende Einfluss der NatCon-Bewegung bringt die Rechte auf Kollisionskurs mit den amerikanischen Unternehmen. So wie die Progressiven die Demokratische Partei in Richtung der populistischen Linke verschoben haben, wollen die NatCons die Republikanische Partei in mehreren Schlüsselfragen ins Lager der populistischen Rechten drängen:
Handel
Anders als viele Mainstream-Republikaner lehnen die NatCons den offenen und freien Austausch von Kapital, Waren und Dienstleistungen ab. Stattdessen soll die Regierung durch Industriepolitik und gezielten Handelsprotektionismus die wirtschaftlichen Bedingungen für den nationalen Wohlstand zu schaffen. In einem Bericht aus dem Jahr 2019 über den industriellen Wettbewerb zwischen den USA und China argumentierte der damalige Vorsitzende des Small Business Committee des Senats, Marco Rubio: „Die relevante politische Überlegung ist also nicht, ob Staaten ihre Wirtschaft organisieren sollten, sondern wie sie organisiert sein sollten. Völlige Neutralität zwischen interagierenden Wirtschaftssystemen ist unmöglich.“ Senator Tom Cotton schloss sich dieser Meinung in einer Rede in der Ronald Reagan Presidential Library an: „Einige unserer orthodoxen libertären Freunde mögen sagen, dass all dies gegen die Grundsätze des freien Handels verstößt. Und vielleicht tut es das auch. Aber während libertäre Ideen die nationale Steuer- und Regulierungspolitik positiv beeinflusst haben, geraten diese Ideen in einer Welt der Grenzen oft ins Wanken.“
Kartellrecht
Während die Republikaner jahrzehntelang den Konsumenten in den Fokus ihrer Wirtschaftspolitik rückten, sorgen sich die NatCons mehr um die Gesundheit der amerikanischen Arbeitnehmer und Produzierenden. Dies ist ein Schlüsselbereich in der Zusammenarbeit zwischen NatCons und der Linken. NatCons betrachten das Kartellrecht als ein nützliches politisches Instrument, das gegen Big Tech und andere Unternehmensakteure sowie zur Unterstützung amerikanischer Arbeitnehmer eingesetzt werden kann.
Steuersenkungen und Finanzdienstleistungen
Für die NatCons ist der Tax Cuts and Jobs Act von 2017 eine verpasste Chance und ein Zeichen dafür, dass die Republikanische Partei trotz Trumps Sieg weiterhin die politischen Prioritäten ihrer Wähler missversteht – oder missachtet. Senator Rubio, der für das Gesetz gestimmt hat, machte 2018 im einstigen konservativen Vorzeigemagazin National Review seinen Unmut deutlich. Er schrieb: „Im Großen und Ganzen hilft das Steuersenkungsgesetz den Arbeitnehmern. Es sind eben nicht die massiven Steuersenkungen für multinationale Unternehmen, die das bewirken.“ Oren Cass von der den NatCons nahestehenden Denkfabrik American Compass kritisiert schonungslos eine Politik, die Anreize für Finanzmärkte, anstatt wirklich produktive Investitionen zu fördern: „Das amerikanische Finanzwesen hat sich metastasiert und beansprucht einen unverhältnismäßig großen Anteil der besten Talente und der Gewinne der Nation, obwohl die tatsächlichen Investitionen zurückgegangen sind. Anstatt ihre eigenen Gewinne in Wachstum und Innovation zu investieren, geben die Unternehmen ihr Kapital zunehmend an den Markt zurück, wo es in Spekulationen fließt, die die Preise bestehender Vermögenswerte in die Höhe treiben“.
Gegenwind
Obwohl sie im Aufwind sind, müssen die Nationalkonservativen mehrere ernsthafte Hindernisse überwinden, von denen einige intellektueller und andere praktischer Natur sind.
Erstens stützt sich der Nationalkonservatismus stark auf das Denken von Edmund Burke, dem anglo-irischen Staatsmann und Philosophen des 18. Jahrhunderts. Burkes Ehrerbietung gegenüber traditionellen Gewohnheiten und Institutionen steht in heftigem Widerspruch zur Aversion der Amerikaner gegen Vorurteile und Ungerechtigkeit.
Zweitens gehen die NatCons von einer sich anbahnenden zivilisatorischen Katastrophe aus, was der Bewegung einen tiefen Pessimismus in Bezug auf die individuelle Freiheit und den materiellen Wohlstand verleiht, den die meisten Amerikaner als ihr Geburtsrecht betrachten.
Drittens haben die NatCons nur wenige institutionelle Verbündete, während es Gegner en masse gibt. Während die Libertären der 1970er Jahre in einer Zeit hoher Steuersätze und überbordender Regulierung in der Geschäftswelt einen natürlichen Verbündeten fanden, haben die neuen Nationalisten kaum Unterstützer unter den etablierten Eliten.
Konklusion
Obwohl sie mit gewaltigen Herausforderungen konfrontiert sind, zeigen die NatCons beträchtliche Energie und Zuversicht. Dagegen erscheinen die konventionellen Republikaner müde und unsicher. Die Ereignisse der letzten zwei Jahrzehnte haben den modus vivendi zerstört, der sich unter der Reagan- und den beiden Bush-Regierungen als so erfolgreich erwiesen hat. Wenn die Prioritäten der konservativen Bewegung auch in Zukunft von der „Woke“-Ideologie, der Bedeutung heimischer Produktion und dem Aufstieg Chinas dominiert werden, dann haben die NatCons einen klaren strategischen Vorteil bei der Kursbestimmung der Republikanischen Partei.
Eine englische Version dieses Artikels erschien auf baronpa.com.